Die Krankenschwester bemerkte, dass ein kleiner Junge mehr als einen Monat lang ständig eine Wintermütze trug. Als sie sie abnahm, war die Frau völlig überrascht.

 Die Krankenschwester bemerkte, dass ein kleiner Junge mehr als einen Monat lang ständig eine Wintermütze trug. Als sie sie abnahm, war die Frau völlig überrascht.

Katerina Melnikowa arbeitete seit neun Jahren als Schulkrankenschwester. Einundvierzig Jahre alt, sanfte Stimme, aufmerksame Augen – sie wusste, Dinge zu bemerken, an denen andere vorbeigingen, ohne sich umzusehen. In ihrer Krankenstation roch es immer nach Antiseptikum und Apfeltee. An den Wänden hingen bunte Plakate, im Regal standen Plüschtiere für verängstigte Kinder. Die Kinder kamen nicht nur mit Kratzern hierher, sondern auch einfach nur, um bei jemandem zu sitzen, der zuhören konnte. Am ersten Mai traf die Hitze unerwartet ein. Nach dem langen Frühling schwitzte die Stadt unter der Sonne, und die Kinder kamen in T-Shirts, Shorts und mit zerzaustem Haar in die Schule. Alle – außer einem.

Timur Gratschow. Sieben Jahre alt. Augen – als wären sie von einem alten Foto, ernst, verdunkelt. Er trug dicke Hosen, ein dickes langärmeliges Sweatshirt… und eine blaue gestrickte Mütze. Dieselbe, die er den ganzen Winter getragen hatte. Katerina lächelte ihn an, als er die Krankenstation betrat. — Timur, ist dir nicht heiß mit der Mütze? Der Junge presste die Lippen zusammen und schüttelte den Kopf. — Ich muss sie tragen. — Warum? — Ich muss einfach.

Er umklammerte den Rand der Mütze mit beiden Händen, als würde er das Wertvollste verteidigen. Katerina sagte nichts. Sie notierte nur für sich: der wachsame Blick, das leichte Zittern der Finger, die Spur von Angst, die Kinder nicht verbergen können. Später, bei einer Tasse Kaffee, sprach sie mit seiner Lehrerin, Swetlana Alexejewna. — Er nimmt sie auch beim Sport nicht ab, — seufzte diese. — Im April hat er einen Wutanfall bekommen, als der Trainer ihn darum bat. — Was wissen Sie über die Familie? — Die Mutter ist gestorben. Es gibt nur den Vater und den älteren Bruder. Der Vater ist streng, verschlossen. Der Bruder holt ihn ab. Timur ist ruhig, stört niemanden. Katerina nickte, aber die Beunruhigung ließ sie nicht los.

Sie begann zu beobachten. Woche für Woche – dasselbe. Die Mütze. Lange Ärmel. Gesenkter Blick. Und eines Tages bemerkte sie im Korridor einen dunklen Fleck auf der Mütze. Klein, bräunlich. Blut.

An diesem Abend fasste sie sich ein Herz und rief den Vater an. — Guten Tag, ich bin die Schulkrankenschwester, ich wollte wegen Timur nachfragen… Die Stimme am anderen Ende war scharf, trocken: — Keine Probleme. Er weiß, wie man sich zu benehmen hat. — Er nimmt die Mütze auch bei Hitze nicht ab. Ich dachte, vielleicht hat er eine empfindliche Kopfhaut? — Die Mütze ist eine Familienentscheidung, — schnitt der Mann ab. — Und nicht Ihre Angelegenheit.

Katerina legte langsam auf. Etwas in ihr wurde kalt.

Am Montagmorgen rannte die Lehrerin in ihr Büro. — Timur weint, sagt, er habe Kopfschmerzen. Aber er nimmt die Mütze nicht ab. Als Katerina das Klassenzimmer betrat, saß der Junge in der Ecke und presste die Handflächen gegen den Kopf. Das Gesicht war blass, die Lippen zitterten. — Timur, darf ich dir nur die Stirn anfassen? Die Mütze rühre ich nicht an, versprochen. Er nickte. Die Stirn glühte. Und der Geruch… dick, metallisch, schmerzlich vertraut. Eiter. Katerina kniete sich hin. — Timur, ich muss die Mütze abnehmen. Sonst wird es schlimmer. — Papa hat gesagt, ich darf nicht, — hauchte er aus. — Wenn sie es erfahren, holen sie mich ab.

— Es ist nicht deine Schuld, — sagte sie leise. — Niemals. Sie gingen in die Krankenstation. Schlossen die Tür. Katerina holte Handschuhe, Verbände, Desinfektionslösung hervor. Der Junge zitterte. — Papa hat gesagt, ich hätte es verdient, — flüsterte er. — Weil ich mich schlecht benommen habe. Und mein Bruder hat die Mütze gekauft, damit es niemand sieht. Katerina zog an dem Stoff – und er gab nicht nach. Er klebte fest. Sie befeuchtete die Ränder, geduldig, fast zärtlich.

Als die Mütze sich schließlich löste, keuchten beide Frauen – Katerina und die Lehrerin. Die Haut darunter war durchschnitten und mit Dutzenden von runden Verbrennungen bedeckt. Frische und verheilte, nebeneinander. Spuren von Zigaretten. Katerina biss die Zähne zusammen. — Du bist sehr mutig, — sagte sie. — Alles wird gut. Sie behandelte die Wunden. Swetlana hielt den Jungen an der Hand. Er weinte nicht. Er flüsterte nur leise: — Er macht das, wenn er trinkt. Damit ich es mir merke.

Danach war alles wie im Nebel. Anrufe beim Direktor. Vormundschaftsbehörde. Polizei. Dokumente. Fotoaufnahmen. Timur saß auf dem Diwan, in eine Decke gehüllt, und Katerina holte eine neue, weiche Mütze aus der Schublade. — Diese wird nicht wehtun, — sagte sie. Der Junge sah sie an. — Darf ich sie… behalten? — Natürlich.

Drei Tage verbrachte er im Krankenhaus. Infektion, Verbrennungen, Erschöpfung. Katerina und Swetlana wechselten sich am Bett ab. Ohne Dienstplan, ohne Anweisungen. Sie konnten einfach nicht anders. Am dritten Tag sagte Swetlana: — Ich werde die Papiere einreichen. Ich will ihn zu mir nehmen. Katerina sah sie lange an. — Bist du sicher? — Ja. Ich habe genau auf ihn gewartet.

Zum Sommer begannen Timurs Haare zu wachsen. Die Narben verblassten. Eines Abends besuchte Katerina sie und sah ihn im Hof – barfuß, mit nassen Händen, lachend unter dem Wasserstrahl des Schlauchs. Ohne Mütze. Sie weinte. Aber zum ersten Mal – vor Freude. Swetlana kam mit einer Tasse Tee heraus. — Er zuckt immer noch im Schlaf zusammen, — sagte sie. — Aber jetzt kuschelt er sich einfach an mich. — Und du? — Ich habe die Adoptionspapiere eingereicht. Ein Jahr später. Am selben Tag, an dem alles begann. Katerina nickte und sah den Jungen an, der auf dem Gras herumlief. Manchmal geschehen Wunder nicht durch Magie. Sondern einfach dadurch, dass jemand rechtzeitig bemerkt hat, dass ein Kind eine Mütze trägt, obwohl der Frühling bereits Einzug gehalten hat.

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