„Sie ist das Ebenbild meines Bruders“: Nur ein einziger Satz, im Kreißsaal gesagt, zerstörte eine ganze Familie.

 „Sie ist das Ebenbild meines Bruders“: Nur ein einziger Satz, im Kreißsaal gesagt, zerstörte eine ganze Familie.

Die Dorfluft roch nach frisch gemähtem Heu und warmer Milch. Ich stand im Hof des alten Hauses und sah zu, wie der vierjährige Lukas die Hühner fütterte, während die anderthalbjährige Emma unsicher hinter ihm hertappte und mit ihren molligen Ärmchen wedelte. — Mama, schau mal! Der Hahn hat Emma gezwickt! — rief mein Sohn und hob seine kleine Schwester hoch.

Das Mädchen lachte hell auf, ihre dunklen Locken sprangen im Takt. Jedes Mal, wenn ich sie ansah, zuckte ich zusammen – dieses Haar, diese Augen, dieses Lächeln… Alles erinnerte mich an den Mann, den ich versuchte, aus meinem Gedächtnis zu löschen. An der Tür erschien Großmutter Matteo, sich auf ihren Stock stützend.

— Anna, kommt essen! Die Suppe wird kalt. Ich nickte dankbar. Diese Frau war mir in einem Jahr näher geworden als meine eigene Mutter. Sie verstand ohne Worte – warum ich aus der Stadt geflohen war und warum Matteo nach diesem Gespräch nicht mehr gekommen war. „Sie sieht meinem Bruder sehr ähnlich“, hatte er damals gesagt, als er die schlafende Emma ansah. Ohne Wut. Nur Müdigkeit und ein Schatten des Verstehens. Danach war er einfach gegangen.

Beim Mittagessen erzählte die Großmutter Lukas ein Märchen vom Hähnchen, während ich mechanisch Emma fütterte, meine Gedanken weit wegschweifend. …Ich erinnerte mich an den Tag, an dem alles begann. Der achte Monat meiner Schwangerschaft. Ich ging die Straße entlang, meinen Bauch haltend, und die Tränen liefen einfach. An der Ecke sah ich sie – David, mein Geliebter, lachte mit einer zierlichen Blondine. Unsere Blicke trafen sich für eine Sekunde – und er wandte sich einfach ab. — Entschuldigung, geht es Ihnen gut? — hörte ich eine Stimme neben mir. Vor mir stand ein großer junger Mann mit freundlichen Augen und einer Tüte aus der Apotheke. — Alles gut, — log ich. — Erlauben Sie mir wenigstens ein Glas Wasser. Ich bin Matteo. Arzt. So lernten wir uns kennen. Er begleitete mich zu einer Bank, und ich erzählte ihm irgendwie alles – von David, vom Verrat, von der Schwangerschaft, von der Leere. Er hörte zu, ohne mich zu unterbrechen. Von diesem Tag an tauchte Matteo immer häufiger auf. Er brachte Obst, half beim Einkaufen, bot sich an, mich zum Arzt zu begleiten. Und dann schlug er vor, zu seiner Großmutter aufs Land zu fahren – um vor der Geburt frische Luft zu schnappen.

So kam Großmutter Elsa in mein Leben. Freundlich, weise, mit sanften Händen und leiser Stimme. Als Lukas geboren wurde, war Matteo an meiner Seite. Er brachte einen riesigen Strauß Gänseblümchen mit – meine Lieblingsblumen. Danach – wurde er Teil unseres Lebens. Zuerst als Freund. Dann – als Ehemann.

Die Hochzeit war bescheiden, aber warmherzig. Seine Mutter, eine Ärztin, umarmte mich und sagte: „Passt aufeinander auf.“ Ich glaubte damals, dass alles gut werden würde. Ein Jahr verging glücklich. Lukas nannte Matteo Papa. Aber er sagte immer öfter, dass er ein gemeinsames Kind wolle. Ich zögerte – ich hatte Angst, das zerbrechliche Gleichgewicht zu verlieren. Und dann geschah dieses Treffen. Im Park, inmitten von Familien mit Kinderwagen. David stand nur wenige Schritte entfernt – mit seiner Frau und Tochter. „Dein Sohn?“ fragte er. „Ja“, antwortete ich. Er lächelte traurig: „Sieht meiner Mutter ähnlich.“ Von diesem Tag an begannen wir, uns zu schreiben. Harmlos. Dann – gefährlich. Dann – unwiderruflich. Als ich merkte, dass ich schwanger war, war es bereits zu spät. Emma war nicht von Matteo. Er selbst bemerkte den Test, seine Augen leuchteten vor Glück: „Endlich!“ Und ich konnte kein Wort hervorbringen. Im Kreißsaal sah er lange auf das Mädchen. Und sagte plötzlich: — Sie ist eine Kopie meines Bruders.

Ich wurde blass. Er hatte alles verstanden. Und schwieg für immer. Dann folgten Jahre – Kälte, Entfremdung, Müdigkeit. Kontrolle, Tränen, Einsamkeit. Bis ich zu Großmutter Elsa zog – unter dem Vorwand, mich um sie zu kümmern. Jetzt lebe ich hier. Im Dorf. Ich bringe Lukas das Holzspalten bei, backe Pfannkuchen mit Emma, trinke Tee mit der Großmutter. Matteo kommt manchmal – schweigend, mit Geld, mit Geschenken. David schreibt Briefe, die ich verbrenne, ohne sie ganz zu lesen. Und ich lebe einfach. Ich erwarte keine Vergebung, suche keine Liebe. Ich habe Kinder. Und das ist genug. — Mama, schau mal, ein Regenbogen! — ruft Lukas. Ich umarme beide, drücke sie an mich und denke: Vielleicht liegt Glück nicht darin, geliebt zu werden. Sondern darin, selbst zu lieben – trotz allem.

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