Er nannte sie vor allen „Kuh“, ohne zu bedenken, wie verletzend seine Worte waren. Aber das, was sie danach tat, brachte selbst ihn zum Schweigen.

— Entschuldigt meine Kuh! Sie frisst wieder maßlos! Arsenijs Stimme, normalerweise sanft und selbstbewusst, klang diesmal wie ein scharfer Schlag – kurz, schroff, unvermittelt. Am festlichen Tisch herrschte augenblicklich eine klirrende Stille.
Anna erstarrte mit der Gabel in der Hand. Die Scheibe Schinken verharrte auf halbem Weg zum Teller. Die zerbrechliche, fast durchsichtige Frau spürte, wie Dutzende Blicke sie durchbohrten. Ihre Wangen glühten, ihr Atem stockte, und ihr Herz hämmerte ihr irgendwo im Hals, als wollte es nicht in ihrer Brust bleiben. Maxim, Arsenijs bester Freund, verschluckte sich an seinem Sekt. Veronika, seine Frau, starrte zu Boden – ihr Blick huschte zwischen Glas und Teller hin und her. Niemand wagte es, ein Wort zu sagen. Die Luft wurde dick vor Verlegenheit.
— Arsenij, was tust du da? — durchbrach Maxim schließlich die Stille. — Was denn? Darf man jetzt nicht mehr die Wahrheit sagen? — Arsenij lehnte sich mit einer trägen Geste zurück und grinste. — Mein Dummchen hat wieder zu viel gegessen. Es ist doch peinlich, sich so in der Öffentlichkeit zu zeigen! Anna lief rot an. Das war keine Verlegenheit – es war Demütigung, scharf wie eine Brandwunde. Tränen stiegen auf, aber sie schluckte sie hinunter, wie sie es schon hunderte Male zuvor getan hatte. Tränen erfreuen nur den Tyrannen – das wusste sie. — Ach komm, Arsenij, — mischte sich Sergej ein. — Deine Annetschka ist eine Schönheit. — Schönheit? — er höhnte. — Schau sie dir mal morgens an, ohne all diesen Kram im Gesicht! Ich wache auf und zucke zusammen: Wer liegt denn da neben mir? Jemand kicherte nervös. Jemand senkte den Blick. Anna stand auf. Langsam, ohne jemanden anzusehen. — Ich… zur Toilette, — flüsterte sie und ging hinaus.
— Sie ist beleidigt, — zog Arsenij in die Länge und schenkte sich mit gespielter Gleichgültigkeit Wein ein. — Gewohnte Sache. Sie kommt gleich wieder. Maxim saß schweigend da. Vor ihm saß ein Mann, den er seit fünfzehn Jahren kannte – und den er jetzt nicht mehr erkannte. Früher war Arsenij die Seele jeder Gesellschaft – großzügig, witzig, charmant. Als er Anna heiratete, waren alle neidisch: schön, gutherzig, aufrichtig. Doch mit der Zeit hörten seine Witze auf, Witze zu sein. Zuerst „mein Dummchen“, dann „Idiotin“, dann „fette Kuh“. Und alles – vor Leuten. Veronika stieß ihren Mann leise mit dem Ellbogen an. — Max, tu wenigstens etwas.
Er stand auf. Anna stand am Waschbecken, zusammengekauert wie ein geschlagener Vogel. Schwarze Mascara-Spuren, zitternde Hände. — Alles in Ordnung, — sagte sie. — Ich wasche mich nur kurz und komme zurück. — Ann, — sagte er leise, — warum erträgst du das? — Wohin soll ich denn gehen? — in ihrer Stimme lag eine Müdigkeit, die älter war als sie selbst. — Ich habe nichts. Alles gehört ihm – die Wohnung, die Sachen, sogar die Kleidung. Mein Lehrergehalt reicht kaum für Essen. Meine Eltern sind auf dem Dorf, sie würden… es nicht verstehen. Für sie bin ich der Stolz. Wie soll ich ihnen sagen, dass ich in der Hölle lebe? Sie wandte den Blick ab. — Am Anfang war er anders. Blumen, Komplimente, Geschenke. Und dann – als hätte jemand das Licht ausgeschaltet. Zuerst sagte er, der Borschtsch sei nicht richtig. Dann – ich sähe aus wie ein Landei. Dann – ich sei dumm. Jetzt… genießt er es einfach, wenn ich leide. Aus dem Wohnzimmer drang lautes Lachen.
— Die ist auch im Bett ein Holzklotz! — dröhnte Arsenij. Anna zuckte zusammen, wie von einem Schlag ins Gesicht. — Schluss. — Maxims Stimme wurde fest. — Wir gehen. — Er lässt mich nicht… — Das entscheidet nicht er. Sie gingen zurück hinein. Arsenij war betrunken, seine Augen glänzten. — Wir fahren, — sagte Maxim ruhig. — Warum das denn? — runzelte Arsenij die Stirn. — Anna, setz dich! Anna machte einen Schritt, aber Maxim hielt ihren Ellbogen fest. — Komm. — Bist du verrückt geworden? Das ist meine Frau! — Eine Frau ist kein Gegenstand, Arsenij. — Anna, ich sagte – auf deinen Platz! Der Kronleuchter im Raum schwankte. Alle erstarrten. Anna hob den Blick. Darin lag keine Angst. Nur Müdigkeit und Entschlossenheit. — Ich gehe. — Was? Wohin? Du hast doch nichts! — Ich habe mich. Und das ist genug. Er machte einen Schritt auf sie zu, aber sie wich zurück. — Weißt du, Arsenij, die Kühe auf dem Dorf behandeln die Menschen mit mehr Respekt als du.
Sie knöpfte ihren Mantel zu. Jeder Knopf – wie ein Schritt zur Freiheit. — Mach keine Dummheiten! Ich werde mich bessern! — schrie er fast. — Nein. Du wirst dich nicht ändern. Das ist kein Fehler. Das bist du. Die Tür schlug zu. Sie kam nicht zurück. Weder am nächsten Tag, noch einen Monat später. Er schrieb, rief an, demütigte sich. Sie – schwieg. Und ging einfach weiter. Mietete ein Zimmer am Stadtrand, unterrichtete Kinder, lernte, wieder zu atmen. Lernte, nicht zusammenzuzucken, wenn jemand laut sprach. Lernte, in den Spiegel zu schauen und die fremden Worte nicht im Spiegelbild zu sehen. — Ich lebe wieder, — sagte sie Maxim ein Jahr später.
— Ich lebe einfach. Und Arsenij blieb zurück. Allein. Mit leeren Gläsern, mit geschliffenen „Witzen“, über die niemand lachte. Er hat bis zum Schluss nicht verstanden, was er verloren hatte. Weil seine „Kuh“ stärker war, als er sich vorstellen konnte. Sein „Dummchen“ – klüger, als er es jemals war. Und während er ein neues Opfer suchte, lernte sie einfach, glücklich zu sein.